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Motivationen, Bildungsstrategien und Spannungsfelder: Hessische Kommunalpolitiker im Gespräch

Vier kommunalpolitische Spitzen waren bei dem Podiumsgespräch vertreten, in dem konkret geschaut wurde, wie die erste Förderperiode von "Bildung integriert" und der "Kommunalen Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte" wirkt. Moderiert von Nader Djafari, INBAS GmbH, besprachen Oliver Quilling (CDU), Landrat im Landkreis Offenbach, Marian Zachow (CDU), Erster Kreisbeigeordneter im Landkreis Marburg-Biedenkopf, Oliver Grobeis (SPD), Erster Kreisbeigeordneter im Odenwaldkreis, Simone Vetter, Leiterin der Schulabteilung im Lahn-Dill-Kreis, was die jeweiligen Kommunen zur Teilnahme an den Projekten bewegte und wie das Lernen vor Ort in Zukunft gesteuert werden soll.

Besondere Highlights in den Landkreisen

Dass Bildung für die Zukunftsfähigkeit und die Attraktivität der Landkreise einen maßgeblichen Faktor darstellt, darin waren sich alle vier Gesprächsgäste direkt einig. Um diesen zu stärken, gehen die Kommunen unterschiedliche Maßnahmen an. Dabei reicht die Palette von der Einrichtung eines Bildungsbüros über die Organisation der Vielzahl an Initiativen und ehrenamtlichen Engagements durch die Kommunale Koordinierung bis zur strategischen Bildungsplanung mittels "Bildung integriert", die die Kreise als Bildungs- und Wirtschaftsstandort ausbauen soll. Konsens war auf dem Podium insgesamt, dass die Förderprogramme "Bildung integriert" und "Kommunale Koordinierung" dem Aufbau von kommunalen Bildungslandschaften stark fördernd zugutekamen.

Unterschiedliche Verzahnungen: Bildungsstrategien und andere Politikfelder

Dass es für den Auf- und Ausbau von kommunalem Bildungsmanagement interdisziplinäre Kooperationen braucht, ist unumstritten. So unterschiedlich die Kommunen aber sind, so unterschiedlich sehen auch die jeweiligen Verzahnungen der einzelnen Politikfelder vor Ort aus. Während die Landschaft der einen Kommune überdurchschnittlich durch eine große Anzahl Neuzugewanderter geprägt ist, muss sich ein anderer Landkreis unterm Rettungsschirm behaupten. So wird der Schwerpunkt der Zusammenarbeit einmal eher auf der sozialen Seite, ein andermal eher auf der finanziellen Seite gelegt. Wieder eine andere Kommune erfährt durch die Verbindung von Wirtschaft und Arbeitsmarktpolitik die für sie wichtigsten bildungsstrategischen Vorteile. Und der nächste Landkreis konnte durch die Bildung von bereichsübergreifenden Kompetenzteams die verwaltungsinternen Kommunikationsstrukturen insgesamt aufbrechen. Bildung muss also ganzheitlich gedacht werden und davon sind überall auch Politikfelder betroffen, die sich mit dem Thema vermutlich nicht vorrangig identifizieren.

Schwerpunkte des zukünftigen Lernens

In der Bildung entsteht aktuell ein gewisser Druck, der sich besonders auf den Anwendungsbezug beim Lernen bezieht. Bei der Frage nach der Priorisierung zwischen Anwendungs- und orientierendem Lernen, wird gemeinhin festgestellt, dass Orientierungswissen einen inneren Kompass darstellt, der mehr und mehr gebraucht werde. Vor dem Hintergrund der künftigen Herausforderungen wie demografischer Wandel und Digitalisierung sei zudem die Kreativitätsförderung enorm wichtig. Einen ähnlichen Stellenwert habe darüber hinaus die Fähigkeit der Selbsteinschätzung. Und nicht zuletzt bekämen Sozialkompetenzen und Kooperationsfähigkeit eine immer höhere Bedeutung. Diese Themen erfahren daher auch beim Ausbau der kommunalen Bildungslandschaften in Hessen ein besonderes Augenmerk.


"Im Rahmen der Kreisentwicklungsplanung haben wir überlegt, wie wir uns als eher kleiner Landkreis durch Standortfaktoren so aufstellen können, dass Menschen nicht nur in Frankfurt, sondern auch im Odenwald leben wollen und wie das Know How in der Region bleiben kann. Schnell wurde klar, dass der Kreis dafür seine Ressourcen in einem Portfolio bündeln muss. Um rechtzeitig die Initiative ergreifen zu können diskutierten wir über ein Bildungsmonitoring. Agieren statt reagieren, rechtzeitig steuern und grundlegende Entwicklungen nicht aus dem Bauch heraus, sondern auf Grundlage von Daten treffen, war unser Ziel. Ein Highlight in dieser Entwicklung war die Idee ein Bildungsbüro einzurichten, in dem die Fäden zusammenlaufen. Das Förderprogramm "Bildung integriert" kam uns hier wie gerufen."

"In unserer Kommunalpolitik liefen alle Fragen über kurz oder lang auf Bildung hinaus, aber auch auf die Frage, wie dies alles finanziert werden könne. Die einzelnen Bestandteile, bei denen früher ein Sachbearbeiter ein Gebiet abgedeckt habe, gilt es deshalb nun zu bündeln, um Ressourcen und Finanzen gut einzusetzen. Mit dem Bildungsmonitoring wollen wir zukünftige Entwicklungen anvisieren können. Denn es geht nicht darum, unsere Bildungsverlierer zu unterhalten, sondern die Entwicklung proaktiv so zu beeinflussen, dass es keine Bildungsverlierer mehr gibt."

"Unser Kreis bringt eine hohe interkulturelle Kompetenz mit, deshalb sind wir 2015/16 ziemlich gut zurechtgekommen. Von den ca. sechstausend Geflüchteten, die bei uns sind, sind etwa zwei Drittel anerkannt. Das heißt, dass wir über eine Willkommenskultur hinaus auch eine Ankommenskultur benötigen, die unabhängig vom Ergebnis des Anerkennungsverfahrens ist. Vor allem die Ehrenamtlichen leisten bei uns sehr viel. Aber wir hatten hierzu weder eine Übersicht noch Qualitätsstandards. Einen richtigen Überblick über unsere Angebote für Zugewanderte erhielten wir erst durch die Kommunalen Koordinierer. Aktuell sind wir dabei, entsprechende Maßnahmen abzustimmen. Als Landkreis streben wir zudem das Ziel an, gewisse Qualitätsstandards zu erreichen. Dies wird die Kommunale Koordination organisieren."

 "Die Bereiche Bildung und Soziales sind die entscheidenden Politikfelder, die beide inhaltlich verknüpft sein müssen, wenn man Menschen Startchancen geben möchte, die von sich aus Schwierigkeiten haben. Mit Blick auf die Nachwuchsförderung und unter der Berücksichtigung, dass qualifizierte Arbeitsplätze z. T. nicht besetzt werden können, darf man Potenzial nicht liegen lassen. Die enge Verknüpfung von Bildung und Sozialem ist eine der wichtigsten Aufgabenfelder für unseren Landkreis."

"Durch das Rhein-Main-Gebiet und seine starke Anziehungskraft entstand für uns der Handlungsbedarf, den Bildungsstandort auch als Wirtschaftsstandort zu halten und aufzubauen. Trotzt einer Vielzahl an Bildungsanbietern hatten wir von diesen keine Übersicht. Nicht zuletzt durch unsere großangelegte Bildungskonferenz 2014 wurde deutlich, dass wir eine Struktur im Sinne des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements brauchten. Wir wollten weg von den gefühlten Problemen, hin zu den wirklichen Problemen, die mit Zahlen, Daten und Fakten hinterlegt sind."

"Mit "Bildung integriert", aber auch bereits früher mit der "Bildungslandschaft" sind wir dabei, Kommunikationsstrukturen aufzubauen, an die zuvor niemand gedacht hat. Die Bildungslandschaft hat über den Lenkungskreis Kompetenzteams eingerichtet. Davon sind Politikfelder wie das Amt für Soziales und Integration, oder die Schulabteilung wirkungsvoll betroffen. Da kann eine Bildungslandschaft eine unglaublich gute Klammer setzen und so findet sich auch jeder wieder. Die politischen Parteien in der Kreisregierung müssen allerdings hinter dem Bildungsthema stehen, sonst kann das einfach nicht funktionieren."

"Wir haben zahlreiche vernetzte Strukturen im Landkreis, aber das Problem war, dass sie in allen Bereichen reaktiv waren. Wir brauchten so etwas wie eine strategische Planung mit BiMa und BiMo. Dazu kommt, dass der Landkreis nur eine Zukunft hat, wenn es uns gelingt, Fachkräfte an die Region zu binden. Der Bildung kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, Köpfe und Hände zu halten. Denn für die Teilhabe am Arbeitsmarkt, aber auch beim Thema Radikalisierung spielt Bildung eine große Rolle. Klimaschutz ist im Kern ebenfalls eine Bildungsfrage, genauso wie die Themen Arbeitslosigkeit und Gleichberechtigung. Weil man Bildung also ganzheitlich betrachten muss, bin ich froh, dass wir bei "Bildung integriert" dabei sind."

"Allein durch das an-einen-Tisch-holen hat sich bei uns schon viel bewegt. Dabei halte ich ein Mitdenken für andere, die außerhalb des eigenen Fachbereichs arbeiten, für immens wichtig. Das wurde auch am Beispiel der Neuzugewanderten deutlich: Wir haben als Kreis ein offenes Bildungsangebot eingesetzt, das die Wirtschaftsförderung, die Arbeitsagentur, ein Bildungsträger und die Uni Marburg auf den Weg gebracht haben. Durch diese Verbindung von Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaft haben wir etwa 30 - 40 Veranstaltungen pro Jahr für Neuzugewanderte mit Firmenbesichtigungen und Kulturveranstaltungen. Das Beispiel zeigt das Potenzial von Vernetzung. Spannend ist auch die Dynamik, wie viele Seitenideen und neue Projekte daraus erwachsen sind."

Fotos: Joachim Storch

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